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5. EINRICHTUNG EINES EXPERIMENTALSTUDIOS
    FÜR ELEKTRONISCHE KLANGERZEUGUNG

Die fachliche und moralische, somit sogar auch politische Unterstützung führender Komponisten und Musikwissenschaftler - neben PAUL DESSAU auch WOLFGANG HOHENSEE, Prof. KNEPLER, Prof. GOLDHAMMER, NATSCHINSKI u.a., sogar des damaligen Ministeriums für Kultur, erlaubte damals nicht nur die Weiterentwicklung des "Subharchords", sondern auch die Einrichtung eines Experimental-Studios für elektronische Klangerzeugung.

An Sprachregelungen gewöhnt, wurde der Begriff "Elektronische Musik" weitestgehend vermieden, zumal er in der Tagespresse ständig gebrandmarkt wurde. Der DDR-Musikkritiker SIEGFRIED KÖHLER sprach seinerzeit geringschätzig nur von der "Musik für den elektrischen Stuhl" (Unser Rundfunk, Heft 22, Mai 1958). Aber auch ALFRED BARESEL berichtete 1956, wie schon erwähnt, von "radioaktiver Musikluft in Darmstadt", wo sich das Publikum mit seinen " unbeherrschten Lärmkundgebungen wie im Kasperletheater benahm ".

Auch HORST SEEGER ging in seinem "Musiklexikon" (Leipzig, 1966, Deutscher Verlag für Musik) kein Risiko ein und zitierte elektronische Musik als "eine Musik, welche die Schwingungserzeugung ohne stofflichen Schwingungsträger rein im elektrischen Vorgang vornimmt und damit das Merkmal des Unkünstlerischen an sich trägt..." und:
"Der ästhetische Grundirrtum der elektronischen Musik, soweit sie mit den konstruktivistischen Kompositions-Methoden der spätbürgerlichen Musik verbunden ist und ambitiös als "Neue Musik schlechthin" auftritt, beruht darin, dass eine Erneuerung der Kunst aus isolierter Material- bzw. Formentwicklung für möglich gehalten wird."

Kein Wunder, dass SEEGER für einige zunächst erbetene Beiträge des Autors über 'Elektronische Klangerzeugung' und 'Elektronisches Studio' dann am Schluss der Arbeit für sein Musiklexikon unerwartet keinen Platz mehr hatte!

Das konnte uns alles beim Aufbau eines Studios nicht beirren; aber es zwang natürlich auch weiter zu größter Vorsicht. Es wurde daher der neutrale Begriff "Klangerzeugung" oder noch häufiger "Elektronische Klangkunst" verwendet, wie ihn der sehr engagierte Musikwissenschaftler und Musikredakteur des Deutschlandsenders, GERHARD SCHWALBE, taktisch klug geprägt hatte. Es ist interessant, zu beobachten, dass heutzutage dieser Begriff wieder aufgegriffen wurde und häufiger verwendet wird. Gerhard Schwalbe war unendlich viel Unterstützung durch sein mutiges Auftreten gegen die Musikdogmatiker im Ostberliner Funkhaus zu verdanken, eigentlich die ganze Entwicklungstätigkeit auf diesem Gebiet.

Bild 13: Teilansicht des Studios in Berlin-Adlerhof

 

SCHWALBE hatte den Autor schon 1957 für einen Sendebeitrag des Berliner Rundfunks über die in Darmstadt vorgestellten elektronischen Kompositionen gewonnen und unterstützte alle Bemühungen auf dem Gebiet der elektronischen Klangerzeugung, erteilte dafür die Kompositionsaufträge. Aus heutiger und damaliger Sicht ist der von ihm gezeigte Mut gegen die damals das Funkhaus beherrschende Politriege eine ungeheuere Leistung, ein außerordentliches persönliches Risiko, gewesen. Dr. DIETER BOEK führte dies später ebenso engagiert in Sendungen über "Musikalische und physikalische Aspekte der elektronischen Klangkunst" (1967/68) fort.

Bereits 1959 wurde ein eigenes Studio für elektronische Klangerzeugung im Funkhaus Berlin projektiert; die Realisierung wurde zunächst aus bautechnischen und finanziellen Gründen verschoben.

Der Experimentalbetrieb wurde daher in den Räumen des Labors ausgebaut - manchmal wurde in drei Schichten gearbeitet, damit die übrigen geplanten Forschungsarbeiten nicht behindert wurden und kein Vorwand zur Beendigung dieser Tätigkeit gefunden werden konnte (Bild 13). Neben den beiden eigenen zwei technischen Assistentinnen arbeiteten die Toningenieure KLAUS BECHSTEIN und JÜRGEN MEINEL aus dem Hörspielbereich des Funkhauses Berlin im Laborstudio; die Finanzierung übernahm auch dafür der Deutschlandsender. Die Deutsche Post berechnete nur eine relativ geringe Miete für die Technik, da sie ja ohnehin für die eigenen Entwicklungen genutzt wurde.

Die folgende Namen tauchen in dem Komponistenverzeichnis der Jahre 1962 - 70 auf: WOLFGANG HOHENSEE, WOLFRAM HEICKING, HERWART HÖPFNER, RAINER HORNIG, GÜNTER JOSECK, WALTER KUBICZECK, ROLF KUHL, ADDY KURTH, SIEGFRIED MATTHUS, HERMANN NEEF, CONNY ODD, FREDERIC RZEWSKI, GERD SCHLOSSER, KARL-HEINZ SCHRÖDER, JOACHIM THURM, BERND WEFELMEYER, HANS-HENDRIK WEHDING, ROLF ZIMMERMANN und THILO MEDECK. Ihre Realisierungsvorstellungen wurden weder vom Auftraggeber, Gerhard Schwalbe vom "Deutschlandsender", noch gar von uns Technikern in ideologisch-ästhetischer Hinsicht beeinflusst.

Die vorhandenen umfangreichen studiotechnischen Anlagen und die leichte Spielbarkeit des Subharchords aufgrund der benutzten Klaviatur anstelle des schwierigeren Bandmanuals erlaubte den Komponisten ein schnelles Einarbeiten und selbständiges Produzieren. Auch ohne Rechnersteuerung kamen die jeweiligen Realisationen schnell voran. Sehr reizvoll kam auch das Klangfarbenspiel mit MEL-Filtern, die LOTHAR THOMALLA nach dem Hinweis von Josef Anton Riedl neu entwickelt hatte, zur Geltung. Dennoch planten wir eine umfangreiche Erweiterung durch moderne Steuerung sowie auch ein Zusatzmanual für obertonreiche Klänge für subtraktive und additive Synthese. Leider kam es nicht mehr dazu.

FREDERIC RZEWSKI, amerikanischer Komponist und Pianist, auf dem Gebiet der Neuen Musik weithin wohlbekannt, kam täglich aus Westberlin. Auch hier gelang es Gerhard Schwalbe, einen Produktionsauftrag an ihn und den Zugang zu unserem Labor durchzusetzen. Aus heutiger Sicht schier unbegreiflich. Sein Stück nannte er mehrdeutig "Zoologischer Garten" - das war nicht nur ein Tiergarten, es war auch der Bahnhof, damals das Pendant zum Grenzbahnhof Friedrichstraße. Seine tägliche Grenzüberquerung in einem alten zerbeulten, rostigen Auto erlebte er nie ohne Querelen und Nadelstiche; er sagte später, dass er das alles in seiner Komposition verarbeitet hatte und ausdrücken wollte.

PAUL DESSAU lud LUIGI NONO zu uns ein, der begeistert eine Produktion zusagte. Leider gab es immer Terminverschiebungen, bis es zu spät war.

Anlässlich der Woche der elektronischen Musik im Westteil der Stadt (1964), zu der mit Hilfe einer Einladung von Prof. Winckel von der TU Charlottenburg die Erlaubnis erkämpft werden konnte (eine zweite Veranstaltung, Luigi Nono gewidmet, fand 1967 statt, siehe Anlage 4) gab es auch viele Begegnungen mit Komponisten anderer Studios, die uns daraufhin besuchten durften:
LEJAREN HILLER
aus Illinois erkannte die enormen klanglichen Möglichkeiten der subharmonischen Mixturen und wollte sofort zumindest diesen Funktionsblock des Subharchords übernehmen; leider war dies nicht realisierbar. Dank seiner Hilfe konnten wir aber eine Veröffentlichung über unser Studio in der amerikanischen Fachzeitschrift "Journal of the AES" [6] unterbringen. Auch die Zeitschrift „Das Musikinstrument" informierte darüber [7].

Über unser Studio berichtete auch das 3.Programm des WDR (3.10.68) -  der dort tätige Musikredakteur Dr. W. SEIFERT, vormals auch im Funkhaus Berlin-Nalepastraße tätig gewesen, hatte dies bei unseren Stellen durchsetzen können. WEFELMEYER's Studie "Protest" und SIEGFRIED MATTHUS' "Galilei" wurden dort gesendet.

Im Betrieb "Deutsche Schallplatten" unterstützte unsere Arbeit  DIETER WORM durch Herausgabe einer Platte des Experimentalstudios mit dem Titel "Experimentelle Musik" (1963/64). Der Deutschlandsender, d.h. eben der Musikredakteur GERHARD SCHWALBE, installierte eine 16-teilige Sendereihe "Auf dem Wege zu einer neuen Klangkunst", die der Autor selbst im Experimentalstudio Adlershof produzieren durfte. Die 11. Sendung, die neue Kompositionen des Studios Köln vorstellen sollte, wurde allerdings kurzfristig, d.h. wenige Stunden vor der Sendung, "abgesetzt". Den Chefredakteur Martin HATTWIG, getreuer Gefolgsmann des Hauses, hatte plötzlich der Mut verlassen, Musik von KAGEL und STOCKHAUSEN zu bringen, zumal Stockhausen in der sog. DDR-Presse häufig genug verrissen worden war. Musikredakteur Dr. DIETER BOEK fand dann aber 1967/68 einen Sendeplatz, Ausschnitte aus Stockhausen’s Werken zu bringen.

Mut bewies auch die Hochschule für Musik in Ostberlin, die neben einer Vorlesung über Tonstudiotechnik des Autors für die Tonmeisterklasse auch eine solche über Elektronische Klangerzeugung von 1960 bis 1983 zuließ, so dass auf diesem Wege die Arbeiten der verschiedensten Studios in aller Welt verbreitet werden konnten. Hier konnte Bernd WEFELMEYER mit seiner Diplom-Arbeit auf diesem Gebiet und der Komposition "Protest" (1966) erfolgreich zur Weiterentwicklung auf diesem Gebiet beitragen.
Allerdings traute sich der Autor, aus Sorge vor erneuter Absetzung für eine Rundfunk-Sendung, sie lediglich als "Studie Nr.1" anzukündigen.

Das Studio konnte mehrere Trickfilm-Musiken und mehr als 80 Kompositionen für Film, Rundfunk und Fernsehen, aber auch als autonome Stücke, produzieren. Einige Stücke wurden auch öffentlich aufgeführt - wie das sehr bekannt gewordene Stück von SIEGFRIED MATTHUS "Galilei", ebenso Stücke von HANS-HENDRIK WEHDING und JOACHIM THURM mit Sinfonieorchester (1964-1966).

Zahlreiche Veröffentlichungen konnten zur damaligen Zeit über dies Studioarbeit publiziert werden (u.a. in [6] bis [22]).

Die Akademie der Künste hatte damals ihr Domizil am Robert-Koch-Platz. HOFMEIER, SCHWAEN und MATTHUS setzten durch, dass der Autor dort Vorträge und Vorführungen über elektronische Klangerzeugung halten konnte. Wie die Presseveröffentlichungen zur damaligen Zeit aussagen, waren zur ersten Veranstaltung am 24.11.1966  "weit mehr Interessenten, als der Plenarsaal der Akademie fassen konnte, der Einladung der Sektion Musik zu dieser Veranstaltung gefolgt. Sie alle waren gekommen, um sich - eine für [Ost] Berlin erstmalige Gelegenheit dieser Art - aus berufenem Munde und an Hand zahlreicher Tonbeispiele über Geschichte, Stand und Perspektive unter Benutzung der Elektronik zu informieren."

Die Besucher kamen von überall; aus Dresden ein großer Teil der Dresdner Tanz-Sinfoniker mit Günther Hörig. Tragischerweise kam das Flugzeug der MALEV aus Budapest, mit dem sogar der Cheftonmeister des Ungarischen Rundfunks, TOMAS JARFAS, zu dieser Veranstaltung anreisen wollte, nicht mehr an - es raste bei Bratislava im Schneetreiben gegen einen Berg; alle Insassen kamen ums Leben. Wir verloren einen guten Freund und Förderer dieser Arbeiten.                          

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Literaturhinweise:

[6] Steinke, G.: Experimental Music with the "Subharchord" Subharmonic Sound Generator. Journal of the AES, 14 (1966), 2, S.140-144. ZURÜCK

[7] Steinke, G.: Experimentelle Musik mit dem subharmonischen Klangerzeuger "Subharchord". Das  Musikinstrument 16 (1967), 9, S. 1013-1015, 1052 sowie in: radio, fernsehen, elektronik 17 (1968), 18, S. 569-570. ZURÜCK

[8] Steinke, G.: Musik aus der Retorte. Unser Rundfunk, 12 (1957), 20, S.15.

[9] Steinke, G.; Mutscher, H.: Entwicklungstendenzen der elektronischen Musik. Technische Mitteilungen des BRF 2 (1958), 1, S.11-16.

[10] Steinke, G.: Über Vorarbeiten für ein Studio für künstliche Klang- und Geräuscherzeugung. Techn. Mitteilungen des RFZ 8 (1964), H.4, S. 168-173; sowie Vortrag zur 3. Akustischen Konferenz, Budapest, Juni 1964: "Über einige Methoden der elektronischen Klang- und Geräuscherzeugung"; Kongreßbericht 1964, S. 414-420.

[11] Schreiber, E.: Ein neuartiger elektronischer Klang- und Geräuscherzeuger. OIRT-Zeitschrift „Rundfunk und Fernsehen“, (1964) H.2, S.33

[12] Steinke, G.: Probleme der elektronischen Klangerzeugung (I). Mitteilungen der deutschen Akademie der Künste zu Berlin. 4 (1966), Nr. 5, Sept./Okt., 3-4.

[13] Hofmeyer, G.: Probleme der elektronischen Klangerzeugung (II) Mitteilungen der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin. 4 (1966), Nr.6, Nov./Dez.

[14] Steinke, G.: Das Subharchord – ein Mittel zu neuer Klangkunst. Rundfunkjournalistik in Theorie und Praxis. 1 (1965), 6, S.25-32, sowie in: Musik und Gesellschaft, 16 (1966), 11, S.729-733.

[15] Steinke, G.: Analyse einer Sendereihe des Deutschlandsenders: Auf dem Wege zu einer neuen Klangkunst. OIRT Zeitschrift "Rundfunk und Fernsehen" (1965), H.6, S. 19-22 (deutsche/englische/französische/russische Ausgabe).

[16] Wefelmeyer, B.: Elektronische Klangerzeugung und Musik. Ihre wichtigsten ästhetischen, technischen und gehörphysiologischen Besonderheiten; sowie zwei Beispiele zur Verdeutlichung des "Kompositionsprozesses" und seiner technischen Realisierung. Diplomarbeit an der deutschen Hochschule für Musik, Fachrichtung Tonmeister, Berlin, 1966.

[17] Rödger, E.: Die aleatorische Modulation in der elektronischen Klangerzeugung. Diplomarbeit an der deutschen Hochschule für Musik, Fachrichtung Tonmeister, Berlin, 1966.

[18] Steinke, G.: Technische Grundlagen der Elektronischen Klanggestaltung. Vortrag mit Bandvorführungen zur Veranstaltung "Elektronische Klangkunst" der deutschen Akademie der Künste zu Berlin, am 24.11.1966.

[19] Steinke, G.: Elektronischer Klang- und Geräuscherzeuger. Neue Deutsche Presse (1967), H.6, S. 44-45.

[20] Steinke, G.: Vortrag zur Veranstaltung „Elektronische Klangkunst II“ in der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin am 19. Mai 1967.

[21] Steinke, G.: Musikalische und technische Aspekte der elektronischen Klangkunst. OIRT-Zeitschrift “Rundfunk und Fernsehen“. (1968), H.2, S. 30-34 (deutsch), ferner in russischer und englischer Ausgabe.

[22] Heyduck, N.: Oskar Sala und das Trautonium. Das Musikinstrument 41 (1992), 1, S. 16-20. ZURÜCK

Anlagen:

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