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1. Elektronische Klänge als Stimuli zu einem
    "LABOR FÜR AKUSTISCH - MUSIKALISCHE GRENZPROBLEME"

Mit elektronischen Klängen des Trautoniums und des Thermenvox (dem ersten elektronischen Musikinstrument des Russen THEREMIN) wurde der Autor 1948/49 bekannt, als er beim damaligen Landessender Dresden (im Mitteldeutschen Rundfunk) als Tontechniker und Toningenieur Aufnahmen mit den Dresdner Klangkörpern und Chören unter JOSEPH KEILBERTH, RUDOLPH KEMPE, HEINZ BONGARTZ, HANS-HENDRIK WEHDING, RUDOLF MAUERSBERGER u.a. produzieren durfte. Dazu konnte er an den Neuinstallationen des Funkhauses Dresden, aber auch an der Herstellung von Sendungen mitwirken und das Schallarchiv nach elektroakustischen Klängen durchstöbern. In jener Zeit lernte er auch HERMANN SCHERCHEN kennen, mit dem er im Dresdner Hygienemuseum " die Kunst der Fuge" produzierte. Der damals begonnene Kontakt wurde bei den Darmstädter Ferienkursen (1955/56/57) wiederaufgenommen und dann später auch durch Teilnahme an seinen Seminaren im Studio Gravesano (1956-1960) wie auch bei seinen Besuchen Im Funkhaus Berlin usw. fortgeführt, woraus sich eine interessante Korrespondenz zu musikalisch-akustischen Grenzfragen entwickelte.

In Darmstadt entstand 1956 durch die Begegnung mit den Vertretern der Kölner Schule der elektronischen Musik, speziell KARL-HEINZ STOCKHAUSEN und  HERBERT EIMERT; besonders mit dem ideenreichen Toningenieur HEINZ SCHÜTZ des Kölner Studios, spontan die Idee, auch beim Ostberliner Rundfunk ein entsprechendes Studio einzurichten, vor allem aber auch die Entwicklung entsprechender Klangerzeuger durchzusetzen, da die damalige zeitraubende Band-Schnitt- und Klebetechnik nicht sehr erfolgversprechend und zukunftsträchtig erschien.

Man muss allerdings bedenken, dass in dieser Zeit, sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland wenig Bereitschaft bestand, sich sowohl mit der Neuen Musik, die Eimert mit der Elek-tronischen Musik Kölner Prägung fortführen wollte, als überhaupt mit solcher Art experimenteller Musik zu beschäftigen. Von den Darmstädter Ferienkursen 1956 schrieb z.B. der Musikkritiker Alfred Baresel in der Zeitschrift für Neue Musik:

"Die radioaktive Musikluft scheint das Nervensystem zu schädigen. Begnügte man sich bei der ersten Vorführung in Köln noch damit, die elektronischen Kompositionen als 'Musik der fliegenden Untertassen' ironisch abzulehnen, so kam es diesmal zu sehr unbeherrschten Lärmkundgebungen. Allerdings kann man nicht behaupten, dass der einleitende Darmstädter Vortrag von Herbert Eimert, des Leiters des Kölner Studios, dazu angetan gewesen wäre, ein breiteres internationales Publikum auf diese denkwürdige Stunde vorzubereiten. Der Vortragende sprach in ziemlich salopper, beinahe gekränkt erscheinender Art, hatte so gar nichts von einem wissenschaftlichen 'Hier stehe ich, ich kann nicht anders...'und setzte sich im Wesentlichen nur mit Einzelfragen einer Gelehrten-Opposition auseinander. Dadurch merkte das – zum Teil erschreckend unaufgeklärte – Publikum überhaupt erst, dass es auf diesem Gebiete bereits etwas wie einen Widerstand gibt und nutzte es als Freibrief zum Lärmen nach Gutdünken aus.

Es muss leider gesagt werden, dass es vor allem deutsche Knaben und Mädchen innerhalb dieses internationalen Publikumskreises waren, die mit „Pfui“-Rufen an dem Ernst der Stunde völlig vorbeigingen."

Baresel zitiert dann Prof. Matzke, der in einem Vortrag an der Musikhochschule Stuttgart offenherzig gesagt hatte: "In die Welt der Elektronik haben sich bereits auch Unberufene hineingedrängt, sowohl auf Seiten der Musiker wie der Techniker. Dafür fehlt es an allgemeiner Aufnahmebereitschaft für das neue Phänomen an unseren Hochschulen ...".

Zu den in Darmstadt vorgestellten Stücken schätzte er die Kölner Hauskomponisten mit ihren Fünfminutenbrennern nur gering ein; würdigte dagegen KRENEK´S "Pfingstoratorium"schon als kompositorisch interessanter, es trüge aber zur Lösung des Problems der elektronischen Musik nichts bei. GOTTFRIED MICHAEL KÖNIG wurde dagegen mit seinen "Klangfiguren II"als "Alltagsgeräusche in zufälligem Durcheinander" sehr abgewertet: "Der 'Bruitismus'als moderne Kunstrichtung in Italien, der solche Geräusche noch mit herkömmlichen Instrumenten erzeugt, hat schon vor 30 Jahren völlig abgewirtschaftet. Dem elektronischen Bruitismus wird es nicht anders ergehen, denn er ist völlig überflüssig; die neuen amerikanischen Düsen-Flugzeuge können das viel besser."

Solche Meinungen schwappten ins Publikum über und wurden auch von dem anwesenden Kritiker Harry Goldschmidt aus Ostberlin aufgegriffen, so dass wir nur hoffen konnten, dass seine ebenfalls bissigen Kritiken in der Zeitschrift "Musik und Gesellschaft" (Heft 10/1956) nicht den Allgewaltigen in den für uns zuständigen Ministerien zu Ohren kamen. Man musste also "zu Hause"auch in dieser Hinsicht sehr vorsichtig sein.

Karl-Heinz Stockhausen und Heinz Schütz vom WDR Köln luden uns anschließend zu einer Veranstaltung "Musica Viva"im November 1956 nach München, in den Herkulessaal; ein. Darüber einige Zitate aus den damaligen Reisenotizen des Autors:

"Es wurde erstmalig der Versuch unternommen, keinem besonders ausgesuchten Konzertpublikum elektronische Musik vorzuführen. Es war auch eine große Zahl von Fachleuten, Musiker und Techniker, erschienen, darunter auch der Dirigent und Komponist Igor Strawinsky. Allerdings verließ dieser nach dem ersten Stück – einer Komposition für zwei Klaviere von Boulez, die dieser selbst mit Yvonne Loriod aufführte und der sich in Darmstadt als 'Punktualist' vorgestellt hatte -fluchtartig den Saal! (Komponisten wie Strawinsky, Schönberg, und Hindemith, waren übrigens in Darmstadt als 'Traditionalisten' und 'Romantiker' bezeichnet worden!).

Erstaunlich war die Art, wie man in München dem mehr oder minder vorbereiteten Publikum die Werke servierte (darunter elektronische Stücke, die vorher in Darmstadt aufgeführt worden waren). Bereits nach den das Konzert eröffnenden Instrumental-Kompositionen zeigten sich große Teile der Hörer sehr ungehalten. Die Stimmung schlug dann durch ungeschickte und beleidigende Herablassung von Herbert Eimert aus Köln bei der Ansage der jeweils folgenden Kompositionen in Gelächter und Tumulte um. Die Unruhe tat sowohl dem Konzerteindruck als auch dem Ansehen der elektronischen Musik, die mit diesem Konzert dem Publikum vorgestellt werden sollte, erheblichen Abbruch. Herr Eimert führte die Hörer nicht an die Werke heran oder versuchte, zu erläutern und aufzuklären, sondern behandelte das Publikum, unter dem sich bekannte Musiker und Wissenschaftler befanden, wie eine unwillige Schulklasse, die das ABC eingetrichtert bekommt.

Karl-Heinz Stockhausen war mit dem 'Gesang der Jünglinge im Feuerofen' vertreten. Leider war die ungenügende technische Qualität der Vierkanal-Vorführung über 140 Lautsprecher durch zu hohe Lautstärke und starke Verzerrungen dem Stück sehr abträglich. Der subjektive Eindruck war der eines Aufenthaltes in einer Bahnhofshalle, in der rangiert wird, und damit eben überhaupt nicht vergleichbar mit der Darmstädter Aufführung. Dagegen wurde das 'Pfingstoratorium' von Krenek vom Publikum versöhnlicher aufgenommen. Dennoch war die unzureichende technische Qualität insgesamt eine physische Qual."

Der elektronischen Musik konnte man durch diesen verunglückten Start keinen schlechteren Dienst erweisen. Demgegenüber hatte die erste öffentliche Vorführung elektrisch erzeugter Klänge anlässlich der Funkausstellung 1932 (hier in Bild 1 u.a. mit Oskar Sala, Prof. Vierling, Prof. Nernst, Heller) offenbar ein weitaus größeres Interesse und Zustimmung in der Öffentlichkeit erzielt, wie uns später der mitwirkende ZITZMANN-ZERINI (im Foto am Theremin-Gerät) berichtete.  

Bild 1: Elektroakustische Musik auf der FUNKAUSSTELLUNG 1932 

Der WDR-Intendant Hartmann hatte dem Kölner Kreis mit auf den Weg gegeben: "Geltung haben nur die schöpferische Kraft und der bildende Geist: er beantwortet die Frage nach Gut und Böse; sie muss uns von der Sorge befreien, ob der vor uns liegenden, ungeheuren, abstrakten Materie belebender Odem eingehaucht werden kann."

Wir spürten diesen Odem und versuchten dann, in Adlershof vorsichtig weiter zu machen.

OSKAR SALA hatte inzwischen das Trautwein'sche Trautonium zum Mixturinstrument weiterentwickelt und viele interessante Aufnahmen produziert. Er war viel geschäftstüchtiger als TRAUTWEIN, war sich aber auch seiner Monopolstellung als einziger Beherrscher des ebenfalls einzigen Mixtur-Trautoniums (Bild 2 und 3) sehr bewusst.

Bild 2: Oskar Sala (um 1985)        Bild 3: Das Rundfunk-Trautonium  

Dennoch war er bereit gewesen, im Zeitraum 1949 - 51 für den damaligen Berliner Rundfunk ein sogenanntes Quartett-Trautonium mit zwei Doppel-Spieltischen zu entwickeln, das durch vier Spieler - an je zwei Bandmanualen - bedient werden sollte. Mit den Nachkriegs-Bauelementen war dies zweifellos kein leichtes Unterfangen. Doch auch nach intensiven Bemühungen von seiten des Rundfunks als Auftraggeber konnte es von Sala nicht spielreif übergeben werden (siehe dazu einen Brief von O. Sala aus dieser Zeit, Anlage 1).

Der Autor, seinerzeit in der Magnettonentwicklung des Rundfunk-Zentrallabors tätig, wurde 1954 gebeten, das Gerät für den Spielbetrieb herzurichten. Der Drahtverhau des genialen Bastlers Sala (die Bilder 4 und 5 zeigen den damaligen Zustand; die linke Seite war vom Autor neu verdrahtet worden) entpuppte sich jedoch - nach Aufnahme der Schaltung und Reparatur eines der vier Spieltische - als technisch und klanglich völlig unergiebig.

 

 

Bild 4 und Bild 5:   Spieltisch des Quartett-Trautoniums von Sala für zwei Spieler  

 

 

Bild 6a und 6b  Schaltung eines Einzelspieltisches des Quartett-Trautoniums (Gesamtansicht und Detail)  

Die zu dieser Zeit bereits vorliegenden Aufzeichnungen in den Funkhäusern Leipzig und Berlin, die Sala mit seinem eigenen Gerät (Bild 3)  dort produziert hatte, wiesen eine weit größere klangliche Vielfalt auf. Eine Begegnung mit ihm führte zu keiner Lösung der unerquicklichen Situation, denn es hätte einer aufwendigen Neukonzeption und des Neubaus bedurft. Dagegen reifte bei uns die Erkenntnis, dass es möglich sein musste, ein derartiges Gerät mit modernen Mitteln selbst zu entwickeln und zu fertigen.

Das niemals völlig fertig gestellte Quartett-Trautonium, für dessen Entwicklung der Berliner Rundfunk viel Geld aufgebracht hatte, musste jedoch wegen seiner klanglichen Unzulänglichkeit verschrottet werden. (siehe Aktennotiz vom 29.01.1957, Anlage 2).

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Anlagen:

 

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