Die Geschichte
des Klangerzeugers „SUBHARCHORD“
3. Komponisten,
Konvergenzen und Konflikte
Subharmonische
Mixturen in der Praxis / Subharchord Typ II
Das lang vergessene subharmonische Instrument als Quelle
neuer Klänge und Probleme. In der dritten Folge geht es um Komponisten,
Konvergenzen und Konflikte ...
Wer das Neuland der elektronischen Musik betritt, sieht sich zunächst
aller vertrauten Stützen beraubt; allenthalben stößt er
auf unerwartete und wohl auch befremdliche Phänomene. Werner
Meyer-Eppler, 1954.1
Experimentelle Musik die Schallplatte, die 1964 auf
dem Label ETERNA vom VEB Deutsche Schallplatten veröffentlicht wurde,
verbirgt unter ihrem psychedelischen Cover mehrere Aufnahmen, die im Experimentalstudio
für künstliche Klang- und Geräuscherzeugung im RFZ, Berlin-Adlershof,
mit dem Subharchord produziert wurden. Aber worum ging es, um Musik oder
um Klänge und Geräusche? Die Platte, die ein Concertino und
eine Vorbereitung für eine Orchesterballade von Hans-Hendrik
Wehding , sowie Beispiele von Klangexperimenten und Film- und Hörspielmusiken
von Addy Kurth, Wolfgang Hohensee, Siegfried Hornig, Herwart Höpfner
und Tanzmusik von Walter Kubiczek enthält, informiert im Begleittext:
Der früher oft verwendete, aber irreführende Begriff elektronische
Musik wird hier bewußt vermieden.
Experimentelle
Musik mit dem Subharchord, 1963/64
Hier zeigte sich eine terminologische Verwirrung als Folge davon, daß
man alles tat um die Anwendung des Begriffes Musik zu umgehen.
Es wurde von elektronischer Klangkunst, Klangerzeugung, Klangstruktur,
sogenannten Kompositionen und sogenannter elektronischer Musik gesprochen,
denn die Tagespresse in der DDR hatte sich den neuen Entwicklungen gegenüber
früh sehr kritisch geäußert: der DDR Musikkritiker
Siegfried Köhler sprach seinerzeit geringschätzig nur von der
Musik für den elektrischen Stuhl.2
Die Gefahr, das Wohlwollen der politischen Entscheidungsträger zu
verlieren, und damit die Möglichkeit, ein Studio aufzubauen und zu
betreiben, lauerte überall. Man warf den Freunden der elektronischen
Musik vor, das Experiment um des Experimentes Willen zu betreiben und
verfolgte damit eine Argumentation, die bereits in der Bildenden Kunst
für Kahlschlag gesorgt hatte. Auslöser war die unsägliche,
um 1951 von der SED aus der Sowjetunion übernommene Formalismusdebatte.
Alles was sich nicht direkt dem sozialen Gesellschaftsbezug und einem
naiven, illustrierenden Realismus unterordnen ließ, und stattdessen
auf Abstraktion, Individualität und Autonomie setzte, wurde als volksfeindlich
und dekadent diskriminiert und zensiert.
|
Klangkunst oder Klangstruktur? Etikett eines Tonbands aus dem Archiv
des RFZ -Studios |
Für die Vertreter der Neuen Musik begann eine schwierige Gratwanderung.
Autonome Kompositionen unter Einbeziehung elektronischer Klänge wurden
zwar begrenzt toleriert und sogar von einigen Komponisten als Auftragskomposition
des Deutschlandsenders geordert (wie im Falle H.H. Wehding), sie durften
jedoch keinesfalls die Kategorie des Musikalischen verlassen3
Da half es zumindest, wenn man den unumstrittenen Bertold Brecht textlich
integrierte und damit den Gesellschaftsbezug gewährleistete. So entstand
1966 die Solokantate Galilei für Singstimme, elektronische
Klänge und verfremdete (denaturierte) Instrumentalklänge
über Worte von Brecht, - eine Komposition von Siegfried Matthus.
|
Neue Musik,
um 1976 als LP veröffentlicht, darunter auch die Klassiker
GALILEI von Matthus und PROTEST von Wefelmeyer, beide schon 1966
realisiert.
mp3-Originalton
(700 KB): Siegfried Matthus über Galilei (Radio-Interview mit
G.Steinke, 1966)
|
Erstaunlicherweise konnte die engbegrenzte offizielle Kategorie
des Musikalischen für eine besondere Produktion dann doch kurzzeitig
gänzlich verlassen werden: als der amerikanische Live-Elektronic-Avantgardist
Frederic Rzewski, aus Rom anreisend, zu Gast im RFZ war, um Ende 1965
die Auftragskomposition Zoologischer Garten zu realisieren.
Zum überwiegenden Teil wurde im Studio für künstliche Klang-
und Geräuscherzeugung für den angewandten Bereich produziert,
für die DEFA, die Wochenschau, Rundfunk-Hörspiele, Spielfilme,
Fernsehspiele, Werbe-, Trick- und populärwissenschaftliche Filme
und für die Bühne. Dabei war die Auslastung so groß, daß
der Produktionsplan des Studios eine Arbeit in mehreren Tagesschichten
vorsah. Gerade für den Trickfilm schienen die neuen Klänge des
Subharchords prädestiniert, ein Anwendungsbereich, den der Komponist
Addy Kurth, der auch Orchesterstücke schrieb, früh erkannt hatte.
Er war schon im ersten Entwicklungsstadium beteiligt und kann als einer
der maßgeblichen Förderer des Subharchords betrachtet werden.
Der Versuch, vier Jahrzehnte nach der Erfindung des Subharchords noch
Auskünfte von Musikern zu erhalten, die mit dem Instrument gearbeitet
haben, ist schwierig. Etliche Beteiligte sind verstorben (wie Addy Kurth
oder der ehemals in Weimar tätige Joachim Thurm oder Conny Odd, der
mit bürgerlichem Namen Carlernst Ortwein hieß und an der Musikhochschule
wirkte). Für andere liegt die Zeit zu weit zurück oder markiert
lediglich eine kurze Werk-Phase. So konnte z.B. Marián Varga, der
Gründer und Kopf der Gruppe Collegium Musicum, die für
zwei Vinyl-Veröffentlichungen (1971/1972) das Subharchord im Studio
in Bratislava in der ehemaligen Tschechoslowakei verwendeten, nur noch
wenig Auskunft geben. Schade, denn das was Varga am Subharchord auf Konvergencie
produzierte, ist ein elektronisches freeform-freak-out der allerfeinsten
Sorte und damit ein seltenes Beispiel von Subharchord-Klängen im
Rock- und Jazz-Kontext.
"Konvergencie"
von Collegium Musicum, 1971
Der Autor erlebte jedoch noch eine Überraschung: im Verlauf der Recherche
wurde er auf Science-Fiction-Filme der DEFA aufmerksam, die um 1960/70
produziert und teilweise mit dem Subharchord vertont worden waren, - von
dem Komponisten Karl-Ernst Sasse. Seine Klänge und Geräusche
zu Signale und seine Musik zu Im Staub der Sterne
(die Sternenmusik allerdings ohne Subharchord-Einsatz) könnten bei
den Fans von Peter Thomas traumatische Erlebnisse auslösen: der berühmte
Thomas´sche Soundtrack zu Raumpatrouille - Raumschiff Orion
scheint sich verblassend in der Tiefe des Kosmos zu verlieren, wenn man
den Kosmos-Marsch, Die Erde grüßt Euch, Kosmonauten,
Der Mensch oder Party TEM 4 von Karl-Ernst Sasse
gehört hat.4
Outer-Space-Pop von derart suggestiv-sonderbarer Schönheit ist selten
zu finden!
Karl-Ernst Sasse, Komponist und Dirigent (u.a. ehemaliger Chefdirigent
des DEFA-Sinfonieorchesters) hat lange Zeit, bis in die 80er-Jahre am
Subharchord gearbeitet. Er saß schon am Laborversuchsgerät
in Berlin-Adlershof und hat am Subharchord III im berühmten Dresdner
Trickfilmstudio der DEFA Filme vertont.
Das folgende Interview ist die Kurzfassung eines Gesprächs, das der
Autor Mitte Juli dieses Jahres (Anm.: 2003) mit Herrn Sasse führen
durfte.
M: Wie sind Sie zum Subharchord gekommen?
S: Durch Addy Kurth, der sich früh für Technik interessiert
hatte und nach dem Krieg, neben seiner Tätigkeit als Schlagzeuger,
beispielsweise elektronische Filter für den Mitteldeutschen Rundfunk
gebaut hat. Addy Kurth war ein vielseitig begabter Mensch, dem auch die
damalige Erfindung des Impulsverfahrens zur Musik- und Bildsynchronisation
von Trickfilmen zu verdanken ist. Anläßlich einer Filmproduktion
des Regisseurs Werner W. Wallroth, im Jahr 1964, brauchten wir viel Elektronik,
da hat mich der Addy dann eingewiesen. Nach einer halben Stunde war er
allerdings weg und da lief das dann!
M: Dann war das Subharchord also leicht zu bedienen?
S: Das Subharchord war ein sehr bedienerfreundliches Gerät. Der wohl
einzige Nachteil war im Gegensatz zum Trautonium der Glissandoeffekt,
der extra mit einem Schalter bedient werden musste.
M: Haben Sie überwiegend im Bereich Filmvertonung gearbeitet oder
war diese Tätigkeit untergeordnet?
S: Ich habe ungefähr 540 Filmmusiken gemacht und ungefähr 365
Stücke von Chanson bis Kammermusik, Chorwerke, Orchesterwerke, Ballette,
viele Bühnenmusiken, allein für´s TIK-Theater in Berlin
habe ich 30 Stücke geschrieben. Ich war ein Bestellkomponist,
mein Werkeverzeichnis umfaßt knapp 1000 Sachen, diese sind alle
bestellt, geschrieben und auch aufgeführt worden. Meine Arbeiten
am Subharchord sind in dem Sinne keine elektronische Musik, sondern elektronische
Effekte, die ich für ein Zweitmedium brauchte, also angewandte Elektronik
in dem Sinne.
Als ich Signale machte, habe ich mit dem Regisseur, unter
Geheimhaltung, Odyssee im Weltraum gesehen von Kubrick. Und
zwar nicht auf die Musik hin, weil die ja aus Strauss, Ligeti, etc. bestand,
interessant war für uns, wie elektronische Geräusche eingesetzt
wurden!
M: Wie wurde das Instrument in Dresden denn allgemein verwendet und wie
wurde es beurteilt?
S: Als das Subharchord damals bei der Defa stand hatte man durchaus lange
Zeit Respekt vor dem Instrument und hat es nicht nur als Kuriosum betrachtet.
Die Dresdner haben das Subharchord im Trickfilmstudio überwiegend
als Orgel benutzt, hatten aber eben die Möglichkeit auch elektronische
Effekte zu produzieren. Ich kann mich entsinnen, daß auch viele
Interessenten aus dem Ausland das Subharchord benutzten und dafür
das Studio freibekamen.
Beim Orgelspiel war natürlich die druck-abhängige Lautstärkeregelung
hinderlich. Man musste schon sehr gleichmäßig spielen, um einen
ausgeglichenen Klang zu erzielen, aber für die Erzeugung elektronischer
Klänge war das ideal, zumal man eine Hand frei hatte für andere
Spielmöglichkeiten.
M: Gab es denn Alternativen in Form kleinerer transportabler Synthesizer
wie von MOOG oder EMS, die ihren Weg in die DDR fanden?
S: In Dresden war in der Beziehung garnichts, da tauchten höchstens
die Synthesizer von VERMONA auf, die waren aber sehr verrauscht. Den Moog
haben wir in der DEFA in Potsdam-Babelsberg benutzt. Ich habe wechselweise
immer mal in Dresden und in Babelsberg produziert. Kurt Fritsche, der
dann auch ein Studio in Rahnsdorf hatte, das sehr gut war und wo wir in
den 80er Jahren viele Aufnahmen gemacht haben, hatte ziemlich früh
einen Minimoog. Leider verstimmte der sich im Laufe der Produktion und
musste nachgestimmt werden. Später trat dann der Fehler nicht mehr
auf. Dann kamen der Yamaha DX7 und andere Modelle hinzu.
Im elektronischen Bereich ist das Subharchord für mich unerreicht,
vergleicht man es mit Yamaha, Roland oder wem auch immer. Wenn ich einen
richtigen elektronischen Klang haben will, ist das Subharchord das bessere
Instrument. Allein schon wegen der stufenlosen Toneinstellung. Allenfalls
der Roland 100M, mit dem könnte man auch stufenlos arbeiten, allerdings
bräuchte man nicht die Klaviatur dazu.
M: Was ist denn aus dem Subharchord im Trickfilmstudio der DEFA in Dresden
geworden?
S: Es ist leider zerstört worden. Techniker, die dort herumliefen
haben, die eigentlich mit dem Subharchord nichts zu tun hatten, haben
sich schon gegen Ende der DDR Leiterplatten herausgezogen. Addy Kurth
war da schon schwer krank und raus aus dem Studio. Dadurch ist die Übersicht
verloren gegangen. Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich gesagt,
ich kauf euch das Ding ab und nehm es mit nach Hause!
-----------------
Folge 4: das Ende der Produktion des Experimentalstudios für elektronische
Klangerzeugung und - Zukunftsperspektiven.
-----------------
Quellenangaben:
1 in Elektronische
Musik, Sonderheft des NWDR / Technische Hausmitteilungen, 6. Jahrgang,
1954, S.29
2 zitiert aus:
Unser Rundfunk, Heft 22, Mai 1958, in: Rückblick
auf das Subharchord und die Arbeit des Studios für künstliche
Klang und Geräuscherzeugung, Gerhard Steinke, Berlin, aktualisierte
Fassung, November 2002.
3 Zitat in
der Radio-Sendereihe Auf dem Wege zu einer neuen Klankunst
im Deutschlandsender, 16. Folge, Mai 1966.
4 Kosmos
- Soundtracks of Eastern Germany´s Adventures in Space, Cine-Soundz/Indigo,
2001.
ZURÜCK
ZUM INHALTSVERZEICHNIS oder WEITER
ZUM NÄCHSTEN TEIL
* www.subharchord.de
|